Wir reiten mit zornigen Walküren: Burning Witches und Nervosa fegen durchs Backstage

05.04.2022 Backstage München
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Endlich Startschuss für die neue Konzertsaison! Nach gefühlt endloser Pause darf man wieder das Tanzbein schwingen – was wir doch gerne tun, wenn eine fesche Frauenabordnung in Gestalt von Burning Witches und Nervosa uns beehrt. Und dabei stellen wir fest, dass sich im Backstage in den letzten zwei Jahren in der Tat etwas getan hat.

Denn eines der vielen Dinge, die an diesem Abend bemerkenswert sind, ist die Tatsache, dass unser Lieblingswohnzimmer in der ungewollten Zwangspause ganz massiv aufgemöbelt wurde, wie man uns dies ja online mehrfach versprach. Schmucke neue Gastronomie gibt es zu bestaunen, und - nicht zu vergessen – runderneuerte Örtchen zum so genannten Händewaschen, die in stylischem Design glänzen – so hat man die Zeit des verordneten Winterschlafs mehr als gut genutzt.

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Aber zurück zur heutigen Ansetzung: „Double the Meta!“, unter dieser Flagge rollte ein Tross heran, dessen Besuch eigentlich schon früher angesetzt war, der aber aufgrund der sattsam bekannten Umstände erst jetzt wirklich anrücken konnte. Geballte Frauenpower ist angesagt, aber bevor es zu den furiosen Grazien geht, bestaunen wir zunächst eine Novität. Kulturattaché Sebbes hatte seinem werten Kollegenkreis schon im Vorfeld berichtet, dass wir uns heute Abend eine Portion indischer Musik kredenzen würden, was definitiv der Wahrheit entspricht: die Opener von Systemhouse 33 haben sich nämlich auf den langen Weg aus Mumbai/Bombay gemacht, um uns ihre ganz eigene Mischung aus Death und Thrash um die Ohren zu hauen. Fronter und Bandgründer Samron Jude (seines Zeichens Max Cavalera Lookalike) macht dabei eine mehr als formidable Figur, kreischt und grunzt, dass es eine Art hat, und führt mit ehrlicher Begeisterung durchs Programm. Musikalisch rasselt hier ein durchaus technischer Schnellzug an uns vorüber, bei dem sich vor Gitarrero mit massiver Griffbrettakrobatik hervortut, die auch irgendwo bei Death Angel verortet sein könnte – wobei wir nicht zuletzt die neongelben Turnschlappen bestaunen, die dem Herren nachts sicherlich immer getreulich den Weg leuchten. Stücke wie „Rupture“, „Thief In The Night“ oder „Lake Of Sorrow“ ballern allesamt ordentlich daher, versehen mit tief politischen Texten, die Ungerechtigkeit und Ungleichheit in der Gesellschaft anprangern. So lesen wir das zumindest später nach, wenn wir das mal in Ruhe ohne Soundorkan studieren können. Trotz aller proggigen Sperrigkeit gelingt es Herrn Jude, eine durchaus beachtliche Stimmung anzufachen, so dass nach einer guten halben Stunde ein gelungener Auftakt zu konstatieren ist.

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„Da oben ist eine Umkleidekabine!“, stellt Strandwärter Sebbes fest, als man flugs zwei Backdrops zusammenschiebt, um den raschen Umbau zur nächsten Attraktion ungesehen durchführen zu können. Das nutzen wir zum Blick in die Meute, die die Backstage Halle zwar nicht komplett, aber doch ansehnlich füllt, wobei dem einen oder anderen die zweijährige Pause vom sozialen Beisammensein doch etwas zugesetzt hat. Aber ab jetzt kann die Pediküre ja wieder problemlos aufgesucht werden, was uns so weit beruhigt, dass wir (nachdem wir wieder festgestellt haben, dass ein Plunder als Abendmahl massiv metal ist) die wilde Abrissbirne von Nervosa (heißt auf Portugiesisch übrigens nicht nervös, sondern „Zorn“) frohgemut willkommen heißen. Mit „Kings of Domination“ steigen die vier Damen aus Sao Paulo in ihren mächtigen, an Destruction, Sepultura und Kreator angelehnten Thrash ein, der uns mit einer wohlig gut abgemischten Klangkulisse hinwegfegt. Blickfang ist dabei Shouterin Diva Satanica (typischer brasilianischer Name aus der alteingesessenen Familie der Satanicas), die mit zu heiß gewaschenem Leibchen einen wahrlich schlanken Fuß macht und uns wüst ins Gesicht schreit, was wir ja bekanntlich stets zu schätzen wissen.

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Mit „People of the Abyss“ und „Genocidal Command“ tritt die Frauenriege das Gaspedal vollends durch, wobei Gitarristin und Bandgründerin Prika Amaral – standfest mit schmucken Wanderschuhen, offenbar geht’s nachher noch in die Berge, wenn mal schon mal da ist - ein ums andere Mal flirrende Wespen-Schwarm-Soli aus dem nicht vorhandenen Ärmel schüttelt, die selbst Slayers Geldbeutelkettelfetischisten Kerry King erfreuen würden. Alsbald machen die besonders feierwütigen Gesellen auf dem Tanzboden einen Moshpit auf, das die Holden auf der Bühne umso mehr animiert, eine motivierte Leistung abzuliefern. Die dürfen wir mit „Death“, „Time to Fight“ und „Kill The Silence“ in jedem Falle festhalten, bevor uns dann kurz die „New era of Nervosa“ vorgestellt wird. Immerhin durchlief die Kombo 2020 eine weitgehende Erneuerung, woher auch das heutige Paket stammen mag: die damalige Burning Witches-Gitarristin Sonia Nusselder rekrutierte sich da nämlich kurzerhand die gesamte Bande mit Ausnahme von Frau Amaral, um fortan unter der Flagge Crypta zu segeln. Unverdrossen sammelte Frau Amaral neue Mitstreiterinnen, mit denen sie auch die aktuelle Scheibe „Perpetual Chaos“ einzimmerte - neben der erwähnten Diva ist das auch eine blondmähnige Dämonin namens Mia Wallace, die sich am Bass nahtlos ins Geschehen fügt und bei der Motörhead-Hommage „Rebel Soul“ ganz standesgemäß einen Lemmy-Leder-Schlapphut aufzieht. Die direktionale Anweisung „Into Moshpit“ versteht die Hüpfmeute unten bestens, und nach den Geschossen „Guided by Evil“ und „Under Ruins“ ist Feierabend. Als dann erstmals Schlagwerkerin Eleni Nota an die Rampe tritt, stellen wir wieder einmal fest, dass auch zierliche Damen eine Menge Lärm machen können. Wunderbar.

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Oben wird nun die Umkleidekabine wieder hervorgeholt, man wuselt im Hintergrund umher, und nach kurzer Zeit läuten die Klänge des Intros „Winter’s Wrath“ die nächste Attraktion ein. Die Eidgenössinnen (gibt’s das Wort?) von Burning Witches um Bandgründerin Romana Kalkuhl an der Sportguitarre steigen mit „Executed“ beherzt ins Set ein, das zumindest bei den ersten beiden Stücken noch von argen Soundproblemen geplagt wird. Die ignorieren wir allerdings geflissentlich und erfreuen uns vielmehr am Enthusiasmus, mit der Shouterin und Mikrosteckenschwingerin Laura Guldemond zu Werke geht. Mit „Wings Of Steel“ und „Sea of Lies“ geht es weiter im Text, die Damen überzeugen durch Spielfreude und massive Bühnenpräsenz, wobei die Freundlichkeit nicht auf der Strecke bleibt: „Wir lieben Euch!“, versichert uns Frau Guldemond, bevor sie uns zu atmosphärischer Beleuchtung auffordert: „Vielleicht haben Sie ein Feuer?“ Haben wir zwar nicht, aber das getragene Intro von „Flight of the Valkyries“ gerät dennoch hübsch elegisch, bevor die Nummer um die handgreiflichen Damen aus der nordischen Sagenwelt dann massiv losgaloppiert. Klassischster Metalsound, geprägt von Judas Priest (vor denen sich Gitarristin Larissa Ernst auch kleidungstechnisch verneigt) und Iron Maiden, wabert unablässig durch den Raum und macht ordentlich Laune.

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Mitsingalarm gibt’s dann wieder bei „We Stand As One“, bei der harten Speedattacke „Lucid Nightmare“ zahlen wir Expresszuschlag, bevor die Meute sich dann beim Titeltrack des aktuellen Langspielers mehr oder weniger erfolgreich an einer Wall of Death versucht. Passt ja auch eigentlich weniger zur wunderbar melodischen Weise von der „Witch of the North“, mit der wir doch allzu gerne ausreiten. Der obligatorische Blick aufs Schuhwerk enthüllt derweil eine neue Generation der Plateaustiefel, die Frau Guldemond noch ein paar Zentimeter größer machen als sie ohnehin schon ist, bevor wir dann mit einem fulminanten „Hexenhammer“ schon auf die Zielgerade einbiegen. Nach der ruppigen Abfahrt „Black Widow“ will sich die hochbeschuhte Shouterin schon verabschieden, aber Frau Kalkuhl verweist auf durchaus noch vorhandene Spielzeit, die die Damen mit einer furiosen Fassung der Bandhymne „Burning Witches“ standesgemäß beschließt.

Wir wandern zu einer mehr als gutbürgerlichen Zeit wieder von dannen – Sportschau gibt es heute zwar nicht, aber trotzdem lassen wir uns das gefallen – und stellen fest, dass es allerhöchste Zeit für solche Ansetzungen ist. Wir werden weiter live aus dem Stadion berichten.

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