Tiger auf dem LKW, Füchse auf dem Laufband: wir gehen in die Disco mit Sweet

15.04.2025
Circus Krone

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: im Nachholtermin klappt es dann doch noch mit der Reise in die Glam-Vergangenheit. Und dann sagen wir, ganz wie es Brauch ist: Sa-weeet!

Andy Scott steht da oben und berichtet durchaus offen, dass es ihm gar nicht gut ging letztes Jahr: die Ärzte hätten ihm schon prophezeit, dass er wohl nie mehr eine Bühne betreten würde, so schlimm seien die Hüftbeschwerden. „But I proved them wrong!“, in der Tat, natürlich geht der Zahn der Zeit nicht spurlos vorbei, aber die legendäre Matte (wahlweise als auf den Kopf getackerter Biber oder als Fanshop-Artikel erhältlich) sitzt, und die Riffs schüttelt sich der Saitenheld aus Wrexham (genau, der Ort in Wales mit dem Fußballclub von Deadpool) sowieso nach wie vor mühelos aus dem Ärmel.

Kurz vorher hat mir der Cheffe der Eröffnungskombo mit dem spaßigen Namen Stan Silver and the Brave Puppies doch glatt meinen Gag gestohlen: man erinnere sich doch sicherlich noch an Ilja Richter und die Disco 71, 72, 73 usw., dort hätte man die Hauptattraktion doch regelmäßig bestaunen können. Was natürlich richtig ist: gemeinsam mit dem Familienoberhaupt verfolgten auch wir (allerdings ab Mitte der 70er, vorher waren eher Märchenfilme angesagt) stets amüsiert im heimischen Fernsehgerät den sein Haupthaar kaum bändigenden Ilja, der nach einem beherzten „Licht aus – wom! Spot an – ja!“ stets den Gewinner des Disco-Quiz kürte und dann in gefühlt jeder Sendung auch die Kombo ansagte, um die es heute geht: „Und hier sind – die Sweet!“ Da sprangen dann vier wilde Gesellen umher, gekleidet in Glitzerfummel, Spandex und Plateauschuhe, gerne auch geschminkt, und hauten einen neuen Hit unters Volk, mit einem Sound, der uns seinerzeit durchaus krachig vorkam.

Was wir damals erleben, das war die erfolgreichste Version von Sweet, bestehend aus eben Andy Scott an der Gitarre, Steve Priest am Bass, Mick Tucker hinter der Schießbude und dem charismatischen Blondschopf Brian Connolly am Mikro. Da hatten sich die Jungs gerade von ihrer anfänglichen Bubblegum-Pop-Phase gelöst, die ihnen zwar diverse Hitsingles aus der Feder des Autorenduos Mike Chapman und Nicki Chinn bescherte, die musikalischen Ambitionen aber nicht erfüllte. Andy wollte härter riffen, man sprang auf den Glam-Rock-Zug auf, der gerade mit T. Rex, Gary Glitter und Alice Cooper in voller Fahrt war. Das gelang denn auch formidabel: mit „Blockbuster“ stürmte man 1973 die britischen Charts, in schneller Folge hagelte es weitere Hits wie „Teenage Rampage“ oder auch den „Ballroom Blitz“, bei denen sich allerdings nach wie vor Popsongs mit großem Theaterdonner wie Sirenen, einem exaltiert-manischen Gesang von Connolly und schneidigen Anfangsriffs als Proto-Hardrock verkleideten. 1974 kündigte sich dann allerdings der große Knick an: Brian Connolly wurde vor einem Pub brutal zusammengeschlagen, bis heute munkelt man über einen gezielten Angriff diverser Finsterlinge, mit denen sich der Sänger angelegt hatte. Bei der Attacke wurden Connollys Stimmbänder verletzt, in Folge stürzte er in eine Depression und flüchtete sich in den Alkohol. Auch wenn noch einige Erfolge gelangen (darunter der wohl bekannteste Song der Kombo „Fox on the run“), sank der Sweet-Stern - der Punk fegte den im Vergleich zahmen Glam hinfort, 1978 verließ Connolly die Band, die schließlich auseinanderbrach. Auch wenn Mitte der 80er die Haarspray-Metal-Welle auf die Blaupause der Briten zurück- und tief in den Schminktopf griff und die Urväter des Glamlooks mit diversen Covern ehrte - der Zug für Sweet selbst war durchgefahren. Sowohl Steve Priest als auch Andy Scott formierten in den nächsten Jahren ihre eigenen Versionen von Sweet, die sich nicht immer grün waren und sich schließlich auf die USA und Europa aufteilten.

Mittlerweile ist Andy Scott der berühmte last man standing der Originalbesetzung und beackert mit seiner Sweet-Ausgabe vornehmlich deutsche Bühnen – so auch hier und heute den altehrwürdigen Circus Krone, der für heute sogar in der Arena bestuhlt ist. Man ist halt auch nicht mehr der Jüngste. Uns ficht das allerdings nicht an, wir platzieren uns wie angeordnet zunächst hinter den Sitzreihen und wandern dann allerdings auch gerne mal vorne an den Bühnenrand. Unter der immer wieder beeindruckenden Zirkuskuppel hat sich ein Publikum versammelt, das mit ganz wenigen Ausnahmen die Disco 71 in der Tat verfolgt haben dürfte – und die Hamburger Rock’n’Roller von den Brave Puppies sorgen für eine standesgemäße Eröffnung des Geschehens. Der Dreier kredenzt eine schwungvolle Mischung aus Rock, Punk und Country, Meister Stan schwingt die Guitarre durchaus versiert, und Sohnemann und Bandinitiator Marlon (vormals in Diensten der Hamburger Ska-Punker Rantanplan) sorgt für den ordentlichen Wums. Songs wie „Silver Lining“ oder auch der „Devil on your shoulder“ werden durchaus goutiert, so dass wir nach 45 Minuten konstatieren: runde Sache.

Mittlerweile haben wir auch unseren Sperrsitz gefunden (wie sitzt man eigentlich bei einem Konzert? Ich muss meinen mit angereisten Schlachtenbummler zunächst befragen, wie das eigentlich geht und was ich da jetzt machen muss) und harren der Dinge. Die Bühne ziert ein überdimensionales „Sweet“-Backdrop (zur Historie: man nannte sich zunächst Sweetshop, dann The Sweet und schließlich nur noch Sweet), dann heißt es „Licht aus – wom“, und die Herrschaften marschieren zu den obligatorischen Sirenentönen auf die Bühne. Die Mitstreiter nehmen wir geneigt zur Kenntnis – vor allem Paul Manzi am Mikro bringt die Nummern seit 2019 mit ordentlich Schmackes und der Kombination aus Rauheit und Höhe, die auch Meister Connolly beherrschte, rüber. Lee Small am Bass werkelt ebenfalls ordentlich, und am Schlagzeug drischt mit Adam Booth ein echter Jungspund in die Felle. Das geht alles in Ordnung, aber natürlich gehen gleich beim Opener „Action“ alle Augen direkt auf den Zeremonienmeister. Der wandert in Zirkusdirektor-Joppe herein, nickt freundlich ins Rund und kredenzt neben seinen rostfreien Riffs auch immer wieder mal astreine Falsett-Backing-Vocals. Die Frise ist auch heute unnachahmlich, „the man with the silver hair!“, feiert ihn Manzi später. Der Sound drückt ordentlich, somit alles in bester Ordnung, als es mit „Hell Raiser“ und „Circus“ (durchaus passend heute) in die nächste Runde geht. Das Wort führt zunächst Meister Manzi, „we all agree the seventies were the best years!” – nun ja, so alt bist Du nun auch nicht, aber wir lassen das mal stellvertretend für den Geist stehen, den man beschwören will. Und in dem kommt nun die Jugendhymne „The Six Teens“, nach der uns Manzi mahnt: „we are all sixteen inside – remember!“ Das merken wir uns gerne. Jetzt packen die Herrschaften sogar eine Nummer vom neuen Album „Full Circle“ aus, zu dem Manzi fragt „Who has it?“ und Scott kalauert: „Not enough!“ - mit „Don’t Bring Me Water“ liefern sie ein sauberes Stück modernen Rock ab. So richtig gesprächig zeigt man sich bislang nicht, „Lost Angels“ läuft durchaus gut rein, und das regelrecht epische „Windy City“ liefert dann sogar astreine Hard Rock-Vibes ab. Dann folgt das Phänomen, das für Sweet durchaus typisch ist: man kennt deutlich mehr als Songs als man meint, und sei es in Form von Cover-Versionen. Das nun schnell und durchaus ruppig auftrumpfende „Set Me Free“ mag aus der Feder Scotts schon 1974 das Licht der Welt erblickt haben, wir Kinder der 80er nahmen das erstmals in einer Interpretation von Saxon auf ihrer Scheibe „Crusader“ zur Kenntnis und staunen heute nicht schlecht, als Andy seinen heavy-Seite auspackt und per Slide-Dose seine Klampfe malträtiert. Jetzt allerdings, so informiert uns Herr Manzi, muss Andy eine kleine Pause einlegen, das sei ihm gegönnt. Diese Zeit füllen die Kollegen mit einem Medley aus dem Jahr 1971, als Sweet gleich drei Hits landeten: mit „Coco“, „Funny“ und „Poppa Joe“ versetzen sie das Zirkusrund in Schwung, und auch hier stellen wir fest, dass wir auch diese Vertreter des Kaugummi-Pop der ersten Bandphase irgendwo her kennen – nach kurzem Nachdenken entsinnen wir uns der Kassetten, die Vater Bachmann bei den Schlagern der Woche mitschnitt und die wir auch Jahre später noch begeistert abspielten, ohne die geringste Ahnung zu haben, was das denn alles sein mochte. Dann ist aber auch genug mit der Bubblegum-Seligkeit, „Turn it down“ schneidet wieder mit einem schweren Riff, bevor Andy dann zurückkommt und uns seine Geschichte erzählt. „He’s getting fitter by the day“, feixt Manzi, Humor haben sie, die Kollegen: „Age has left me sexless”, grinst Andy, “like the kids today who tell you just call me they”.



Und weil er so schön dabei ist, erzählt uns Andy in wunderbar walisischem Timbre nun doch ein paar Stories: „We love Munich, and I love this place, we played here several times in the 70s. One evening, we went behind the building and found some trucks with canvas. Something moved, and we looked inside – it was a fucking tiger!” Ja, das war dann wohl das Winterlager des Circus Krone – Dompteur wollte er aber nie werden. Nun denn, zum spaßig-anzüglichen „Wig Wam Bang“ steigt die Stimmung weiter, bevor uns Andy zur nächsten Nummer immer redseliger wird: „We recorded this song in the Musicland Studios here in Munich, and they asked us whether we would like to play on the streets in front of the Octoberfest. Of course we did and got all our gear and costumes there – but the problem was: there was no toilet. I leave the rest to your imagination”. Jeder Wiesn-Veteran kann bei dieser Malaise natürlich mitfühlen. Auch das nun folgende „Love Is Like Oxygen“, 1978 der letzte wirkliche Hit der Band, kennt man natürlich, aber sowohl mein Mitstreiter als auch ich hätten das stets bei Styx oder Toto verortet – nein, auch das waren die Sweet, komplett mit ätherischer Stimmung und Hochgesang. Nun aber zum größten Gassenhauer, den Manzi beherzt heraushaut: „Fox on the Run“ markierte 1974 die endgültige Empanzipation der Kombo von den Fremd-Hit-Schreibern und landete nicht nur auf diversen Chart-Plätzen, sondern nach Jahrzehnten auch im Soundtrack zu Guardians of the Galaxy 2. Ganz zu schweigen davon, dass – eines der genialsten Stücke von unnützem Partywissen – die erste Aufnahme einer jungen Band namens Scorpions eine deutsche Fassung mit der unnachahmlichen Übersetzung „Fuchs geh voran“ war (wo man doch weiß, es geht eigentlich um einen Fuchs, der sich im Fitness-Club ertüchtigt).

Kurze Pause, dann geht’s natürlich nochmal zur Sache: das aus heutiger Sicht etwas zähe „Blockbuster“ reißt die heute Anwesenden vollends um, Handtaschenweitwurf wird geübt, bevor dann natürlich der „Ballroom Blitz“ (wir kennen natürlich wieder das Cover, dieses Mal von Krokus, und auf der Leinwand erschien die Nummer 2016 im Trailer zu Suicide Squad) den Höhepunkt setzt. Das knallt, das röhrt und macht wahrlich Freude. Die Herrschaften verabschieden sich höflich, wir nehmen Andy gerne ab, dass er ehrlich dankbar ist. Die Boygroup mag etwas in die Jahre gekommen sein, die Nummern strahlen wie am ersten Tag – und deshalb intonieren wir auf dem Heimweg nochmal lauthals: „Licht aus! Heute bei uns in der Disco: hier sind – die Sweet!“