Fröhliches Frauen Festival: Amberian Dawn, Diabulus in Musica, Crimson Sun und Hydra bezirzen das Backstage

15.02.2017
Backstage München

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Na, also so eine geballte Frauenpower aber auch: da schauen Amberian Dawn auf ihrer 10-Jahre-Jubiläums-Jubel-Tournee auch bei uns im Wohnzimmer (auch bekannt als Backstage) vorbei und bringen doch glatt gleich drei weitere Female Fronted Formationen mit. Womit wir eigentlich ein Festival im Hallenformat haben. Wir sind in der ersten Reihe. Mindestens!

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Im heimeligen Backstage Club sind wir in trauter Runde, als bei unserem Eintreffen kurz nach 19 Uhr schon die ersten Kollegen munter zu Werke sind: die Regensburger Lokalmatadoren von Hydra sind erst ganz kurzfristig aufs Billing gekommen, aber das hindert den Vierer nicht daran, sich ordentlich ins Zeug zu legen. Mit massiven Drum-Attacken, mit Klargesang aber auch teilweise mit Growls, kredenzen sie uns in erster Linie Songs ihrer neuen Scheibe „Solar Empire“. Frontfrau Lisa Rieger zeigt sich dabei stimmlich gut aufgelegt, bedankt sich bei den Schlachtenbummlern für den Support und fügt sich gut ins Geschehen ein, in dem heftiges Riffing mit orchestralen Arrangements zusammentrifft. Stücke wie „Memorial“ oder auch „Witness Of Arbitrament“ laufen durchaus gut rein, und nach dem Gig ergibt sich am Merchandise-Stand manch gutes Gespräch.  

So schnell geht es weiter, dass wir gerade noch so einen Blick durchs Publikum werfen können: in erster Linie gestandenes Mannsvolk ist heute am Start, nicht unbedingt die typische Metal-Fraktion, und wir sind auch nicht unbedingt die Ältesten heute…so motiviert, bestaunen wir das nächste Kommando, das die Bretter stürmt: die Finnen von Crimson Sun legen gleich mal mächtig los mit dem, was sie selbst als „kick ass female fronted metal“ bezeichnen. Die zierliche Fronterin Sini Seppälä gibt ordentlich Gas, und nach einigen Minuten Aufwärmzeit kommt auch ihre musikalische Begleitung gut in Schwung. Geboten wird hier kein gothic-Elfen-Material, sondern krachiger Metal mit schneidigem, gutem Gesang, der mit Material vom Langeisen „Towards the Light“ entweder schnell und aggressiv („Awaken“) oder episch-ausladend („Memories Burning“) daherkommt. Bei ihrer ersten europäischen Tournee geben die Finnen damit eine mehr als ordentliche Visitenkarte ab, die durchaus Lust auf mehr macht.

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Nach der üblichen Schimpftirade („da ist gar kein Licht auf der Bühne!“) fragt sich Mannschaftsaufstellungsexperte Sebbes nun, wie denn die gefühlt 35 Mitglieder der kommenden Attraktion auf die Bühne passen sollen. Das soll dann später kein Problem sein, zwischenzeitlich widmen wir uns erst einmal wieder unseren anthropologischen Studien rund um das Thema Schuhe: da ist heute von wohnblockgroßen Mars-Expeditions-Latschen über mit Klebeband gesicherten Sohlen bis hin zu strumpfsockertem Auftreten alles vertreten – ob der bestrumpfte Roadie wohl seine Treter an die Band ausleihen musste? Es bleibt im Dunkel, auch der offizielle Jack Black-Imitator neben mir weiß keinen Rat, als dann ein Intro die nächste Kombo ankündigt. Oder vielmehr soll, denn irgendwie verdaddeln die Herren den Auftakt, müssen das Sample nochmal starten, rollen aber mit einem gut gelaunten „sorry!“ fröhlich ab und steigen im zweiten Anlauf ins Set ein. Auf ihrer ebenfalls zehnjährigen Jubiläumstour bieten uns die Spanier von Diabulus in Musica ihren gewohnt episch-komplexen Metal mit technischen Einsprengseln.

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Frontdame Zuberoa Aznárez spielt dabei ihr facettenreiches Organ höchst eindrucksvoll aus und macht in kurzer Hose und zerschlissenen Leggings eine derart schlanke Figur, das wir uns fragen, ob daheim in Spanien die Nahrungsmittel rationiert worden sind. Sei‘s drum, Keyboarder Gorka Elso versieht die Grunz-Dienste und ruft nach jedem Song ein kräftiges „Dankeschön!“ in die Reihen, die sich zumindest ein wenig verdichtet haben. Mit Stücken wie „The Inner Force“ und dem langsam-getragenen „River Of Loss“ ziehen die Spanier trotz aller Komplexität die Meute in ihren Bann, bei „Ex Nihilo“ verdingt sich Herr Elso wieder als Grunzer vor dem Herrn, und wir stellen wiederholt fest, dass uns der progressiv-vertrackte Stil sowie die Stimme von Frau Aznárez durchaus an die neueren Xandria-Werke mitsamt den Vokalkünsten von Dianne van Giersbergen erinnert – was absolut positiv zu verstehen ist. Nun kündigen sie „the weirdest song we have ever done“ an: wir sind gespannt, und siehe da, das düstere „Carousel“ liefert mit seiner alptraumhaften Jahrmarkt-Atmosphäre das beste Stück der Kollegen heute Abend: wie ein Tim Burton-Soundtrack, irgendwo zwischen Märchen und Grusel. Hervorragend. Nach immerhin fast einer Stunde Spielzeit (komplett ohne Gitarrensolo, wie wir verwundert konstatieren) verabschieden sich die Musikteufelchen dann von uns und stehen wie alle Bands heute ebenfalls frohgemut für Gespräche und fotografische Erinnerungen zur Verfügung. Sehr sympathisch!

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Jetzt folgt dann doch eine minimal längere Umbaupause, es gibt einen neuen Keyboard-Aufbau – fachmännisch vorgenommen von unserem Held Sockenmann –, und sobald alles angerichtet ist, freuen wir uns auf den main event of the evening: „So, jetzt kommt ABBA!“, beschreibt Tanzbodenkönig Sebbes die sehr melodische Ausrichtung, mit der Amberian Dawn jetzt über uns hereinbrechen. Vom ersten Song „Valkyries“ an preschen die Finnen massiv voran, oft im up tempo Bereich, immer mit massiven Keyboard-Einsätzen durch Tuomas Seppälä  (Riesenschuhe, schwarz gelackte Fingernägel, Verwandtschaft mit der Crimson Sun-Dame ungeklärt) feuern sie das, was sie selbst durchaus treffend als ihren „melodischen, dramatischen und kraftvollen Metal mit klassischer Frauenstimme“ bezeichnen, unters Volk. Die erste Reihe gerät dabei zunehmend aus dem Häuschen, und Frontdame Päivi Virkkunen, die 2012 die Mikro-Dienste von Heidi Parviainen übernahm, hat sich sichtlich besser eingelebt als beim letzten Stelldichein im November 2015, als wir sie im Vorprogramm von Delain bestaunen konnten. Heute gibt sie sich bauchfrei gewandet selbstbewusst und in Piratenstiefeln trittsicher (Schuh-Thema siehe oben) und kündigt nun „a story of schizophrenia“ an: „Chamber Of Dreadful Dreams“ ballert frohgemut daher, und auch „Circus Black“ überzeugt mit leicht angeschrägten, kirmeshaften Melodiebögen.

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Das hitverdächtige „Magic Forest“ gibt dann Anlass zum angeregten Dialog: Frau Virkkunen berichtet, das nun folgende Stück behandle die Geschichte von „Hansel und Gretel“, wozu ich die Frage einwerfe: „witch hunters?“ – „Yes, yes!“, stimmt mir die Dame zu, dann hätten wir das also auch geklärt und singen beim extrem melodischen Song gerne mit. Gleiches gilt für das groovende „Cherish My Memory“, bevor bei „The Court Of Mirror Hall“ dann der Haar-Rotor angeworfen wird. Diese Nummer enthält eine Melodielinie, die derart an die alte Schweden-Hymne „SOS“ angelehnt ist, dass wir bei unserer anfänglichen Stilverortung bleiben müssen – auch wenn Frau Virkkunen jetzt eine Runde „happy Metal“ ankündigt. Der kommt in Form des fröhlichen Weihnachts-Songs „Knock Knock Who’s There“, bei dem eigentlich nur noch die Showtreppe fehlt – wobei die im Club ja andeutungsweise vorhanden ist. Schmissig, spaßig, runde Sache.

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Dabei jagen Amberian Dawn fast atemlos von Song zu Song, so als ob man die letzte S-Bahn erwischen müsse – das soll uns aber nicht stören, wenn es qualitativ so hochwertig zur Sache geht wie bei der ersten, episch ausladenden Zugabe „Arctica“, bei der die Frontdame ihre ganze stimmliche Bandbreite in die Waagschale wirft. Nach „Ladyhawk“ und „River Of Tuoni“ ist dann aber endgültig Schluss mit dieser Sause, die definitiv wesentlich mehr Zuschauer verdient hätte. Wir lassen uns nicht verdrießen, konstatieren einen äußerst eindrucksvollen Abend und sinnieren noch ein wenig über den bunten Blumenstrauß an Schuhwerk, den wir bestaunen durften. Aber nur ein wenig.