Schwedische Tarnhosen, rostfreier Stahl und Elfenöhrchen: Sabaton, Accept und Twilight Force rollen durchs Zenith

05.02. 2017
Zenith München
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Da stehen sie also, in kurzen Hosen, roten Umhängen und Helmen mit Scheuerbürstenaufsatz, und informieren uns, dass Spartaner niemals aufgeben. Damit kommt eigentlich nur eine Kombo davon, und das ist natürlich das schwedische Einsatzkommando von Sabaton, das auf der „Last Tour“ auch unsere schöne Landeshauptstadt beehrt. Und das auch noch mit den legendären Stahlkochern aus Solingen. Dazu lassen wir uns doch durchaus gerne abkommandieren.

Dass das heute nicht ganz leer wird, das war von Anfang an klar – immerhin haben sich die Schweden um Befehlshaber Joakim Broden zum Publikumsmagnet auf allen Festivalbühnen gemausert, die es beim Rockavaria im letzten Jahr sogar schafften, die Massen trotz strömenden Regens (der Genitiv ist hier mittlerweile etabliert, früher wäre hier der Dativ gestanden. Es ist halt nichts mehr, wie es einmal war. Trotz allem: wir gehen weiter) zu mobilisieren. Nass werden wir heute bestimmt nicht, immerhin ist die Sause im Zenith im Münchner Norden angesetzt. Wir sind wohlweislich früh vor Ort, und siehe da, das formidable Paket mit den Recken von Accept im Schlepptau zieht wie erwartet die Massen: die Schlange ringelt sich schon einmal quer über den riesigen Parkplatz, aber das geht dann doch alles recht flugs, und so entern wir die Halle mit dem Charme eines Eisenbahndepots (genau das war sie nämlich früher) und machen uns sofort auf den Weg nach vorne. Üblicherweise wird hier im vorderen Drittel nämlich der Ort des Geschehens relativ schnell dicht gemacht, und wer dann nicht vorne mit dabei ist, weil ja ganz dringend noch der Schwippschwager begrüßt oder ein Bier getrunken werden muss, hat das Nachsehen bzw. Nach-Vorne-Sehen doch aus einiger Entfernung. Und das muss ja nicht sein.

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Anfangs ist das aber alles durchaus locker und entspannt, wir bewundern noch das riesige Backdrop, als die Jungs von Twilight Force schon hervorspringen und loslegen. Na hossa, die haben aber alle ihre Steelbook Edition Box Sets vom Director’s Cut des Herrn der Ringe daheim stehen: die sechs Schweden waren vorher definitiv bei Peter Jacksons Kostümverleih und machen uns eine astreine Fantasy-Aufwartung, komplett mit Schwertern, magischem Stab und – Elfenöhrchen aus Plastik. Kein Witz. Sänger Christian Eriksson (auf der Bühne aktiv in der Rolle als „Chrileon“, so wie alle seine Mitstreiter irgendwelche Charaktere verkörpern) im langen Umhang könnte im Notfall als Chris Hemsworth stand-in durchgehen – und musikalisch wird (natürlich) epischer Power Metal der traditionellen Art geboten. „Die haben ihre Lieder alle bei Rhapsody geklaut!“ scherzt Musikhistoriker Sebbes kenntnisreich, während Songs wie „Riders Of The Dawn“ für durchaus gute Stimmung sorgen und die Band dazu lustig hin- und her wackelt. Also, so ganz ernst nehmen kann man das nicht, zumal das Logo wirklich aussieht wie bei Hammerfall entliehen. Irgendwie machen sich währenddessen zwei Typen am Bühnenrand einen Spaß daraus, die Herren zu irritieren, und während Herrn Eriksson ausführt, dies sei das letzte Konzert auf diesem Tourabschnitt, kommen die beiden dann tatsächlich auf die Bühne und greifen mit ins Geschehen ein (wer das denn nun ist, das stellen wir später fest). Mit „Enchanted Dragon Of Wisdom“ geht es munter weiter („jedes Mal, wenn im Text enchanted vorkommt, muss man einen Schnaps trinken!“, kreiert Spieledesigner Sebbes einen lustigen Zeitvertreib), einer der Bühnengäste schnappt sich jetzt sogar das Mikro und macht uns durchaus überzeugend den jungen Kiske, bevor dann mit „Knights Of Twilight’s Might“ nach dreißig Minuten Schluss ist mit der Übertragung aus Mittelerde. Durchaus beachtliche Stimmung für den Opener, der die Theatralik vielleicht ein bisschen herunterschrauben sollte. Dennoch ordentlich.

Dann schauen wir uns jetzt doch einmal um: das Publikum wechselt spürbar ein wenig durch, die teutonische Armada spricht eben doch eher die älteren Semester an, die heute allerdings etwas in der Minderzahl sind. In erster Linie konstatieren wir jüngere Schlachtenbummler in standesgemäßer Tarnkleidung (klappt aber nicht, sie sind immer noch gut zu sehen), teilweise auch mit Nachbildungen von Herrn Brodens Blechplatten-Wammes.

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Die Umbaupause ist relativ kurz bemessen, die nun kommende Attraktion darf auf durchaus beachtliche Bühnenausdehnungen zählen, die mit einem noch größeren Backdrop ordentlich inszeniert werden. So willkommen die wieder erstarkten Accept allenthalben auch sind, alleine würden sie die großen Arenen wohl nicht füllen, weshalb sich die Pioniere des deutschen Metal heute mit einem Support-Slot begnügen müssen, der aber doch zeitlich mehr als angemessen ist (und deutlich mehr Material erlaubt als der viel zu früh am Tag angesetzte Gig beim Rockavaria 2015). Um Punkt 8 geht’s dann dahin, rotes Licht flutet die Bühne, und die Solinger steigen mit „Stampede“ hart und schnell ins Set ein. Messerscharf wie immer, äusserst klarer Sound, alle Augen natürlich wieder auf das Duo Wolf Hoffmann und Peter Baltes, die mit formativer Stakkato-Melodie-Gitarrenarbeit und Präzisionsbass den Klangteppich dieses deutschen Walzwerks legen. Shouter Mark Tornister, ähem Tornillo agiert wie stets mit Schildkappe nebst Sonnenbrille und macht seine Sache gewohnt gut: ebenfalls ein Vertreter der Reibeisenfraktion, schafft er es dennoch, nicht einfach wie eine Kopie von uns Udo zu klingen. Den zweiten Sechssaiter bedient schon seit Ende 2014 nicht mehr Hermann Frank, der seitdem von Uwe Lulis vertreten wird – womit von der Urbesetzung leider nur noch zwei Recken übrig sind.

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Aber diese beiden kreieren den charakteristischen Accept-Sound mit Messer-Riffs und Monstergrooves absolut authentisch: nach „Stalingrad“ steigen die Herren mit „Restless And Wild“ dann endgültig in die Zeitmaschine. Wunderbar, dieser unverkennbare Hoppel-Rhythmus, diese Energie. Groß. Wir studieren schnell das detailreiche Bühnenbild, komplett mit „Son Of A Bitch“-Graffiti und den ikonischen brennenden Flying Vs auf den Drums, als es mit den damals ja durchaus kontroversen „London Leatherboys“ weitergeht. „Final Journey“ überzeugt durch feine Melodie, aber Herr Hoffmann weiß schon, welches Ass er mit dem nächsten Stück im nicht vorhandenen Ärmel hat: „Princess Of The Dawn“ bringt eben alle Accept-Trademarks (schneidender Rhythmus, epische, klassisch beeinflusste Melodien), die der gute Wolf denn auch mit seiner leicht provokant-lässigen Art, die man einfach sympathisch finden muss, darreicht: als ob das alles nichts wäre, schüttelt er die Riffs und Melodien aus dem Handgelenk, blitzsauber, keine Note zu viel oder gar falsch, und grinst dabei wie ein Honigkuchenhamster. Unglaublich. „Da ist heute für die ganze Familie was dabei!“, sinniert Historiker Sebbes über die generationsüberspannende Zeitdimension (immerhin hat die gute Prinzession 35 Lenze auf dem Zauberrücken…), bevor dann das sattsam bekannte „Heidi heido heida“-Intro von der Kratzplatte folgt, mit dem wir uns gerne einen Scherz bei ahnungslosen Zeitgenossen machten damals. „Fast As A Shark“, der Prototyp des Speed/Thrash-Metal, brettert wie immer knallig und überraschend melodisch daher und erlaubt Herrn Hoffmann erneut, seine solistische Brillanz zu demonstrieren. Beim Überkracher „Metal Heart“ (das seinerzeit ja die eher kommerzielle Phase und damit den Anfang vom Ende einläutete) stößt Mr Tornillo dann bisweilen doch an die Grenzen seines Organs, aber die Chöre und das obligatorisch abgefeierte „Für Elise“-Solo reißen es dann doch heraus. Das wunderbar räudige „Teutonic Terror“ bereitet dann den Weg für das Accept-Riff überhaupt: bei der Revolutionshymne „Balls To The Wall“ geht die Meute komplett steil. Schluss, aus, das Outro „Bound To Fail“ kommt vom Band, und wir werfen einen Blick auf die Uhr: immerhin 60 Minuten waren das, die Qualität wie stets über jeden Zweifel erhaben, und die Klassiker waren fast alle dabei. Das können wir akzeptieren.

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Nun huschen die Techniker und Baumeister (standesgemäß in Stahlhelmen) emsig über die Bühne, die Hauptaufbauten stehen schon hinter dem Vorhang, das wird jetzt aber mal so richtig groß. Zu den aufbrandenden „Noch ein Bier!“-Sprechchören wird es dann dunkel, von Konserve läuft die Sabaton-Fassung des alten Partykellerstürmers „In The Army Now“, dann spielt man auf der riesigen zentralen Videoleinwand einige stilisierte Szenen einer rollenden Panzerarmee ein – Drumstakkato, Flammen, Rauch, und gleich Vollattacke, selbstverständlich mit dem etatmäßigen Opener „Ghost Division“. Die tarnbehosten Schlachtenbummler stehen wie eine Eins, als Joakim Broden wie ein Derwisch hervorspringt und dazu mehr als eindrucksvoll das Mikrokommando übernimmt. Live sind die Schweden einfach eine Macht, mit eingängigen Melodien, kraftvoller Darbietung und der visuellen Inszenierung, komplett mit Panzer-Drum-Aufbau, auf dem Hannes Van Dahl (seines Zeichens nebenbei auch noch Papa von Floor Jansens derzeit noch in Produktion befindlichem Kinde) die Felle verdrischt. Auch wenn die Pyro-Macht letztes Jahr auf der Open Air-Bühne im Olympia-Stadion nochmals eine Nummer spektakulärer ausfiel, bieten die Kollegen so viel Feuerwerk, wie man drinnen gerade noch so abbrennen darf. Aber jetzt werfen sie sich erst mal ihre roten Umhänge um, diverse lendenbeschurzte Gestalten versammeln sich, donnern auf die Schilde und brüllen „Hu! Ha!“. Jawohl, das – ist – naja nicht Sparta, sondern Freimann, aber wir bilden uns gerne ein, dass wir mit König Leonidas zu den heißen Quellen marschieren, wo die Perser auf uns warten, immerhin laufen auf dem Bildschirm ja direkt Szenen aus „300“ ab (leider nur Film, nicht Comic). Diese Theatralik, diese komplett an der Kante angesiedelte Opulenz trägt ja eigentlich die Gefahr in sich, in Spinal Tap-Komik abzugleiten, aber die Kollegen kratzen die Kurve immer wieder durch die einfach nur mitreißende musikalische Klasse. Nachdem es mit „Blood Of Bannockburn“ einen schmissig-melodischen Ausflug in die schottische Geschichte gibt, kommen wir mal zu Atem, „it is Sunday, but still everybody is going apeshit! I love Munich!”, schmiert uns der Mann mit der Brikett-Frisur etwas Honig ums Maul, und prompt bekommt er wieder “Noch ein Bier!“-Sprechchöre.

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Gemeinsam mit Jungspund und neuestem Bandzugang Tommy Johansson (der einer der beiden Spaßvögel war, die bei Twilight Force die Bühne stürmten, Rätsel gelöst!) nimmt er denn auch ein Getränk zu sich. „You morons! You know I do not like this song!”, scherzt sich Herr Broden nun zur per Sprechgesang eingeforderten Wikingerhymne “Swedish Pagans”, bevor dann der Titeltrack des aktuellen Langeisens “The Last Stand” (namensgebend auch für die Tour, also keine Abschiedsrunde, keine Angst) beweist, warum Sabaton so massentauglich sind: extremst melodisch, sofort mitsingbar, und dabei aber dennoch nicht abgeschmackt, sondern immer von allererster songschreiberischer Kajüte. Zum nicht weniger getragen-epischen „Carolus Rex“ greift Herr Broden wieder in die Kleiderkammer und stolziert mit blau-weißem Königsmantel einher, und man darf erneut staunen, wie textsicher hier die meisten am Start sind, was eine ganz besondere Atmosphäre entstehen lässt. „Do you remember The Art Of War?“, befragt er uns nun, informiert uns noch, dass man vor elf Jahren zum ersten Mal hier aufgetreten sei und nun eine Nummer aus dieser Zeit hervorzaubere: „Union (Slopes Of St. Benedict)“ greift in die Bandgeschichte, bevor es dann wieder in die Neuzeit geht: „The Lost Batallion“ kommt nach düsterem Intro mit dem „Diary Of A Lost Soldier“ fast schon einen Zacken zu fröhlich daher, funktioniert aber von der massiven Mitsingattacke getragen dennoch wunderbar. Irgendwann muss es dann aber eben doch sein, die von den deutschen Fans längst umbenannte Signaturmelodie „Gott mit uns“ startet durch und wird auch wie auf deutschen Bühnen üblich dargebracht – „alle gemeinsam, noch ein Bier!“, das gehört hierzulande einfach dazu und zeigt, dass die Kollegen durchaus Humor haben (Gene Simmons fände so etwas wohl weniger witzig). Dabei zeigen die Gitarristen Johansson und Chris Rörland, dass sie sangestechnisch ebenfalls auf der Höhe sind und jeweils eine Strophe komplett übernehmen. Nach dem schnellen, pyro-untermalten „Lion From The North“ kehrt dann doch tatsächlich ein wenig Ruhe ein. Herr Broden erzählt, er habe bei Sabaton seinerzeit ja als Keyboarder angefangen, und man wolle doch gerne ein wenig Abwechslung bieten. Sprach‘s, setzt sich ans Keyboard und spielt „Jump“. Lobenswerterweise nur kurz, dann darf Herr Johansson (offenbar ein Multitalent) Platz nehmen, die Band versammelt sich und kredenzt uns eine wunderbare akustische Fassung von „The Final Solution“.

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Diesen Moment nutzen wir doch über eine kleine Reflektion: die Frage sei erlaubt, ob das durchgängige Kriegsthema der Herrschaften wirklich immer wohl verstanden ist (als geschichtliche Darstellung und natürlich nicht als politische Aussage) – das Ganze gerät oft zum reinen Abfeiern, was der Gravitas von Stücken wie etwa dem, das sie hier gerade darbieten und in dem es immerhin um das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte geht, in keinster Weise gerecht wird. Ein paar klärende Worte wären vielleicht angebracht, aber heute muss wohl nur die Atmosphäre wirken, was hier auch gelingt, zumal die Leinwand den Blick von der Bühne in ein Meer aus Licht einfängt. Jetzt schnappt sich Meister Broden dann auch noch die Gitarre und berichtet, er spiele ja immer ein wenig mit, aber seine Bandkollegen hätten ihm das mittlerweile verboten – „Smoke On The Water“ darf er nicht mehr, nein. Also hat er es mit Michael Jackson versucht – „Beat It“. Gut gespielt, aber auch untersagt. Also, nächster Versuch, „I looked at our uniforms, and I had it: Village People!” Aber auch den “YMCA” lassen sie ihn nur andeuten, lieber bringen sie jetzt ein formidables “Resist And Bite”, begleitet von Pyros und Texteinspielungen auf der Leinwand. Nach dem Fliegerepos „Night Witches“ mit massivem Feuerwerks-Einsatz setzen dann die „Winged Hussars“ einen ersten Schlusspunkt. Aber die Menge will natürlich „noch ein Bier“, und natürlich steht noch der Bandklassiker schlechthin aus. Die Videoleinwand zeigt eine Montage von Bildern der Invasion, ein Bühnenteil klappt wie ein Landefahrzeug auf, und bei jetzt folgenden „Primo Victoria“ ist dann kollektives Ausrasten angesagt: "through the gates of hell, as we make our way to heaven". Das ist die Sabaton-Essenz, und das dürfen auch nur ganz wenige – aber wenn man aus Schweden ist, dann geht das schon mal, diese Materie so zu behandeln. Auch die Samurai-Legende „Shiroyama“ läuft (komplett mit „Bushido“-Erwähnung, aber gemeint ist er echte und nicht irgendwelche deutsche Möchtegern-Gangsta-Sprechsänger) wunderbar rein, bevor dann mit „To Hell And Back“ das Dauerfeuer endgültig ein Ende hat. Großes, großes Damentennis am Sonntagabend, an dem die bürgerliche Fraktion erst den Tatort angeschaut hat (der „dieses Mal irgendwie nicht so gut war“) und dann vor der Schale mit übermächtigem Fruchtgemisch, auch genannt Superbowl, selig eingeschlummert ist. Da hatten wir definitiv mehr Spaß.