Schweizer Folklore, populäre Kraftmelodien und charmante Furien: Eluveitie, Amaranthe und The Charm The Fury musizieren international

09.11.2017 Backstage München
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Es scheint immer populärer zu werden, im größeren Tross anzureisen: auch die Schweizer Garde von Eluveitie bringt auf der Maximum Evocation Tour gleich zweifach Unterstützung mit. Wenn die in Form der schwedischen Melodie-Helden Amaranthe und wunderbar ruppigen The Charm The Fury kommt, lassen wir uns den trüben November davon doch gerne versüßen.

Man sieht sich immer mindestens zweimal im Leben – das trifft hier und heute gleich mehrfach zu, denn die Formationen am Start kennen wir ja aus jüngster Vergangenheit noch allzu gut. Allen voran die melodischen Deather von The Charm The Fury konnten wir erst im Juli hier bestaunen, als die Niederländer im Vorprogramm von Jon Schaffer und seinen Iced Earth-Freunden schon einen ordentlichen Aufriss machten. Heute sind die vier Recken als erste an der Reihe – und so richtig vollgefüllt scheint das Backstage anfangs heute Abend ja nicht zu sein, als wir ordnungsgemäß hineinspazieren und den gewohnten Platz links vorne aufsuchen. Nun, es muss ja nicht immer große Bürgerbewegung sein, und so sind wir frohgemut, als zu einem durchaus martialischen Intro aus Kriegsreden der Reigen seinen Anfang nimmt. Mit „Weaponized“ steigt der Vierer gleich ordentlich ein, mächtig drückendes Riffing ist die Devise, und dazu fegt der blonde Derwisch Caroline Westendorp über die Bühne, als ob es einen Preis für die energetischste Darbietung gäbe.

Was umso bewundernswerter ist, als die Menge sich mit Reaktionen anfangs noch sichtlich zurückhält. In Sachen Kleiderkammer zeigt sich Frau Westendorp konsequent und trägt wie schon letztes Mal eine bis an den Hals hochgezogene Strumpfhose nebst neckischem Sichtschutz. „What’s up Munich?? I’m bouncing my ass of here!“, animiert sie uns wiederholt zum Mitmachen, was dann bei „Down on the ropes“ und „Echoes“ zusehends besser funktioniert. Der Sound kommt indessen deutlich kompakter herüber als im Juli, und auch in den Disziplinen Bühnenpräsenz und Professionalität spürt man deutlich, dass die Holländer seitdem einige tausend Tourkilometer mehr auf dem Buckel haben. Mit „The Future Need Us Not“ geht es weiter mit gepflegten Grunzattacken, während im Auditorium die Stimmung permanent steigt und sich schließlich hin zu einem ordentlichen Moshpit wandelt. „Munich, wake the fuck up! I want some movement!“ Na, den hier verlangten Herrn Movement kennen wir ja noch vom Death Angel-Konzert, und auch heute hält der Geselle nun endgültig Einzug, als man das sattsam bekannte „Seek And Destroy“ einer nicht unbekannten Kombo anspielt. Nach „Songs Of Obscenity“ und „Carte Blanche“ ist nach 30 Minuten Schicht – reife Leistung, deutliche Steigerung, aber wie genau wir Frau Westendorps Frisur charakterisieren sollen, wissen wir bis zum Schluss nicht.

Szenen-, Kurs- und Stilwechsel: man trägt die mittlerweile fast obligatorischen Flaggen über die Bühne, als wir nach dieser heftigen Attacke nun die eher fluffigeren Töne von Amaranthe erwarten. Die werden sogleich in Form von „Maximize“ kredenzt, nachdem Basser Johan Andreassen mit schwer eingegipstem Fuß eine halbwegs bequeme Sitzposition eingenommen hat. Elfengleich umweht Gitarrist Olof Mörck sein güldenes Haar, aber Blickfang ist und bleibt hier natürlich Elize Ryd, die zunächst dick verpackt in Lederjacke, aber schon mit kurzer Hose bewaffnet einen sehr schlanken Fuß macht. Der sehr eingängige, ja oft als poppig geschmähte Sound wirkt heute Abend deutlich druckvoller als auf Konserve, das Zusammenspiel zwischen Elizes Engelsorgan und den beiden männlichen Stimmen funktioniert im Wechselspiel zwischen Power Metal und Grunzangriffen wunderbar.

Die Stimmung im mittlerweile deutlich besser gefüllten weiten Rund schnellt deutlich nach oben, die treibenden Discobeats zu „On The Rocks“ und dem hervorragenden „Fury“ fahren ordentlich ins Tanzbein und klingen, als ob Roxette eine Speed-Fassung von Dschinghis Khan spielen. Das massive „Dynamite“ gerät zum amtlichen Kracher, und Frau Ryd scheint mittlerweile doch etwas erhitzt, da die Lederjacke nun die Ecke fliegt und ein hübsches rotes Blüschen offenbart. Die Haare hat sie definitiv schön und schwingt ihre ebenholzfarbene Mähne gekonnt im Rotor-Takt – ja, man kann sich schon vorstellen, dass sie auch bei Nightwish eine gute Figur gemacht hätte, für den Job hatte sie sich ja durchaus beworben, aber den Zuschlag bekam bekanntlich eine andere Holde. So stakkatohaft kommen die Electrobeats bei „1.000.000 Lightyears“ und „Electroheart“, dass der führende Kenner der lokalen Clubszene Sebbes schon die Hypothese vorträgt, hinter der Bühne lauere wechselweise die DJs Bobo und Oetzi. Einerlei, wir folgen gerne Frau Ryds Ausführungen, man sei vor zweieinhalb Jahren zuletzt hier gewesen und freue sich inständig, wieder da zu sein. Obergrunzer Henrik Englund Wilhelmsson reicht derweilen freudig ein Bier in die Menge, zu „Digital World“ konstatieren wir den einzigen schwachen Song des Abends und die Tatsache, dass Frau Ryd gerne einmal ihren Schuhputz verbessern könnte. Zu „True“ legt die Dame dann ein Tänzchen ein, bevor sie uns informiert, dass es das nun folgende „Endlessly“ mit astreinen Celine Dion-Vibes sogar zur Hochzeitsmusik für ein Paar gebracht habe, das hier und heute anwesend ist und nochmals freudig schwelgt. Wir wünschen viel Erfolg bei diesem Projekt. Jetzt springt Frau Ryd munter umher, wirft zu „Call Out My Name“ ihre Beine in schwindelerregende Höhen und bringt mit „Hunger“ eine ältere Nummer, die Clubberer Sebbo in nächste Nähe zu „Rhyhtm Is A Dancer“ stellt – mit dem Unterschied, dass die hier vorliegende Variante Laune macht. Nun ist erst einmal Schluss, auch Basser Johan muss von der Bühne humpeln, aber sie kommen tatsächlich nochmals zurück, Herr Johan lässt sich für seinen Kampfesmut abfeiern („we do not like the words cancelled show, we like the words good show!“), und zu „That Song“ tritt uns die liebe Elize dann mit einem schwarzen Fummel entgegen, der hoffentlich gut festgeklebt ist. Meine Herrschaften! „Boomerang“ wirft wieder die Discokugel an, „Drop Dead Cynical“ gemahnt mich an 90er-Euro-Pop-Ausritte, bevor dann mit dem etwas härteren „The Nexus“ („da haben sie vorher eine In Flames-Platte gehört!“, referiert Stilpolizist Sebbes) ihr veritabler Hit am Start steht und die Sause gleichzeitig beendet. Man macht noch ein launiges Bild in die Menge (wohl eine kleine Parodie der mittlerweile inflationären Jubel-Selfies, bestens), dann entschweben sie. Zauberhaft!

 Wir pausieren erneut kurz, dann stürmen alsbald gefühlte 38 Musiker auf die Bühne – keine Frage, wir haben das eidgenössische Volks-Death-Ensemble Eluveitie vor uns. Mit Cellar Darling durften wir vor einigen Tagen ja erst die ehemalige Drehleier-Bedienerin und Sängerin Anna Murphy bestaunen, die bis vor kurzem in Diensten dieser Kombo stand und sich mit einigen Kollegen selbständig gemacht hat. Heute sehen wir nun also das Original, mit zentraler Anlaufstelle in Person von Obermeister Christian Glanzmann, dem es auf der Bühne offenbar deutlich zu zugig ist: den ganzen Abend über gilt das Motto Mütze auf! „Your Gaulish War“ und „King“ heißen die ersten Steuerknüppel, die die typische Kombination von Death-Growls und eher traditionellen keltischen Instrumenten wie Geige, Harfe und Flöte exemplarisch vortragen. Herr Glanzmann selbst schwingt wahlweise die Mandola und die Flöte, geflankt wird er dabei von zwei Grazien, die an der Violine (Nicole Ansperger) und der Harfe (Fabienne Erni) eine mehr als gute Figur machen und die gute Anna würdig ersetzen. Vor allem die gute Fabienne wirkt mit roter Wuschelmähne zunächst ein wenig beschäftigungslos, was sich allerdings alsbald ändert. Zu „King“ bekommt sie den ersten Harfeneinsatz und nebenbei auch den ersten amtlichen Pit des Abends. „Nil“ kommt dann eher folkloristisch daher, so als ob die Children Of Bodom ihre Nummern zu Weihnachten mal auf der Flöte einzimmern, bevor sich Frau Erni dann endgültig das Mikro schnappt und ins Zentrum des Geschehens rückt. Die Chose wird nun deutlich melodischer, der Fuß geht etwas vom Gas – wir kommen in den Genuss einiger Nummern vom Akustik-Album der Herrschaften, wie der liebe Christian uns nun per ausgesucht höflicher Ansage informiert.

Sprachlich bewegen wir uns standesgemäß im helvetischen Gallisch, das vielleicht Asterix verstanden hätte, uns aber mit Titeln wie „Lvgvs“ oder „Catvrix“ die Lektüre der Setlist doch etwas erschwert. Bewaffnet mit Dudelsack    und einer Fassung der als gemeinhin als „Was wollen wir trinken?“ bekannten Folk-Nummer geht es weiter durchs Gehölz, bevor sich die gute Fabienne zu einer ausgedehnt-angeschrägten Solo-Folk-Gesangseinlage aufmacht – die, man glaubt es kaum, von den Schlachtenbummlern unten mit einem massiven Pit quittiert wird. Jetzt komme ein Gospel an die Reihe, so lässt Herr Glanzmann süffisant verlauten, „und wir lieben Gospel – vor allem, wenn sie heidnisch sind!“ „Epona“ bolzt demententsprechend ordentlichen Folk Rock, zu „Thousandfold“ packen sie dann auch die Stromgitarren wieder aus. „Call Of The Mountain“ bietet besten Breitwand-Sound inklusive dem ersten Crowdsurfer des Abends – Ausgelassenheit regiert mittlerweile überall, „A Rose For Epona“ punktet als Mid-Tempo-Nummer, bevor es zu „Kingdom Come Undone“ in der Menge zu massivem Gerammel kommt. „Tegernako“ (das ich im Schummerlicht auf der Liste nur als „Tegernsee“ entziffern kann) kündigt der Mützenheld als „pure Irish folk music“ an – uns kommt das eher wie eine Prise Schwarzwurzel-Sound vor, bevor es dann mit dem pfeilschnellen „Havoc“ und der Hymne „Helvetios“ auf die Zielgerade geht. Massiver Zuspruch allenthalben, die Menge ist entrückt, und wir notieren gerne, dass die Volksmusik und der Gospel in dieser Form jederzeit gerne genommen werden. Quasi als eine Art melodic pop death Stadl. Wobei der Name noch etwas sperrig wäre für eine Samstag-Abend-Show für die ganze Familie.